Stephan Thomae

THOMAE und STRACKE im Interview

Frage: Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs sind zunehmend auch im Allgäu zu spüren. Nun haben Russlanddeutsche mit einem Autokorso und russischen Flaggen protestiert, weil sie wegen des Kriegs angeblich diskriminiert werden. Dabei soll auch Sympathie für Putin bekundet worden sein. Muss unsere Gesellschaft das aushalten?

Thomae: Die Frage ist, ob das noch als freie Meinungsäußerung zu bewerten ist. Die öffentliche Billigung eines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges ist eine Straftat. Polizei und Staatsanwaltschaft sollten ein waches Auge darauf haben, ob diese Grenze überschritten ist. Man muss aber auch sehen, dass nicht alle Russen unsere Feinde sind. Es gibt auch in Russland viele Menschen, die gegen den Krieg demonstrieren und ihre Freiheit aufs Spiel setzen.

Stracke: Ich habe schon den Eindruck, dass Anfeindungen bewusst in die russische Propaganda aufgenommen werden. Darum muss man auch sehen, wer möglicherweise instrumentalisiert wird. Es ist wichtig, in Deutschland lebende Menschen aus Russland nicht an den Pranger zu stellen. Wir müssen ganz klar machen: Es ist Putin mit seiner Clique, der diesen verbrecherischen Krieg angezettelt hat.

Frage: Lassen wir zu viel russische Staatspropaganda in Deutschland zu?

Thomae: Richtig ist, dass sich hier noch sehr viele russischstämmige Menschen über russische Medien informieren. Das ist ein Teil des Informationskrieges, der zwischen Russland und der Europäischen Union tobt. Da muss man sich überlegen, wie man sich zur Wehr setzt. Wer eine extreme Meinung hat, muss Widerspruch ertragen. Denkbar wäre daher beispielsweise, dass deutsche Zeitungen auch in russischer Sprache erscheinen.

Stracke: Wir erkennen wieder mehr, wie wichtig wahre Informationen sind. Es ist eine Aufgabe von Medien und Gesellschaft, aktiv in diesen Diskurs zu gehen und beispielsweise Dinge nicht zu dulden, die manchmal auf Facebook verbreitet werden. Feinde der Demokratie brauchen ein Stoppsignal.

Schreckliche Kriegsverbrechen in der Ukraine erschüttern die Weltöffentlichkeit. Sind die Sanktionen des Westens gegen Russland noch angemessen?

Thomae: Unser Land hat sich abhängig gemacht von russischen Energie-Importen. Das war ein Fehler. Wenn wir aus Russland keine Energie mehr bekommen, kann das bedeuten, dass ganze industrielle Prozesse zum Erliegen kommen und beispielsweise Arzneimittel nicht mehr produziert werden können. Die Lektion ist also: Wir müssen mit Hochdruck daran arbeiten, uns unabhängig von russischer Energie zu machen. Doch das dauert. Kurzfristig sind jetzt Waffenlieferungen an die Ukraine meiner Meinung nach das A und O.

Stracke: Zunächst einmal: Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen. Deutschland muss nun sagen, was es an Waffen liefern kann. Ich erwarte hier von der Bundesregierung mehr Transparenz.

Sie beide würden also schwere Waffen liefern, Panzer und Waffensysteme, mit denen man nicht nur abwehrt, sondern auch angreift?

Stracke: Ich glaube, dieses Bedürfnis ist jetzt da. Aber die Abwägung ist nicht einfach, denn die Nato will ja nicht zur Kriegspartei werden.

Thomae: All das, was die Ukraine braucht, um sich jetzt zu wehren, sollten wir liefern.

Haben wir denn überhaupt noch Waffen, die wir dorthin schicken können?

Thomae: Deutschland ist nicht intensiv auf Panzerschlachten vorbereitet und auch das Personal der Bundeswehr wurde weit zurückgefahren. Das spüren wir jetzt. Aber ich glaube, dass wir noch Möglichkeiten haben. Wir müssen den Punkt erreichen, an dem unsere Unterstützung für die Ukraine maximal ist, ohne selbst Kriegspartei zu werden. Das ist jetzt die hohe Kunst.

Herr Stracke, Sie haben gesagt, dass Putin den Krieg nicht gewinnen dürfe. Wie sieht ein realistisches Szenario aus, das den Krieg beendet und Putin nicht als Sieger vom Feld gehen lässt?

Stracke: Ich glaube, man muss Putin sehr deutlich machen, wozu die Nato im Zweifelsfall in der Lage ist. Am besten wäre es, wenn er wieder an den Verhandlungstisch zurückkehrt. Die andere Möglichkeit wäre, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Die Lehre aus dem aktuellen Konflikt ist jedenfalls, dass Europa in verteidigungspolitischer und wirtschaftlicher Hinsicht widerstandsfähiger werden muss.

Wir spüren alle die wirtschaftlichen Konsequenzen dieses Krieges: Bei den Strom- und Gaskosten, auch an der Tankstelle. Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Verbraucher zu entlasten?

Thomae: Es wird für manche schmerzhaft sein, dass gewisse Dinge teurer werden. Aber die Ampelkoalition plant Entlastungen. Dazu gehört die Absenkung der Energiesteuer, damit Benzin um 30 Cent und Diesel um 14 Cent pro Liter billiger werden. Zudem halte ich auch Steuererleichterungen mittel- bis langfristig für den richtigen Weg.

Stracke: Wir haben ja auch unabhängig vom Ukraine-Krieg eine Inflation und jetzt eine Verschärfung dieser Lage durch die explodierenden Energiepreise. Mich hat schon verwundert, welche Ideen die Ampelkoalition hat, um die soziale Balance zu wahren: zum Beispiel ein hochbürokratisches Nahverkehrsticket. Wir brauchen schnell wirksame Entlastungen, das dauert alles zu lange. Natürlich sind Steuersenkungen das Mittel der Wahl. Verwundert hat mich, dass Rentnerinnen und Rentner nicht entlastet werden sollen.

Thomae: Sie bekommen aber zum 1. Juli eine Rentensteigerung.

Stracke: Das hat ja damit zu tun, dass die Rentenhöhe an die Entwicklung bei den Löhnen gekoppelt ist. Dies kann aber nicht die Begründung dafür sein, dass man die Rentnerinnen und Rentner bei steigenden Energiepreisen allein lässt.

Ein Inflationstreiber sind derzeit die Lebensmittelpreise. Bei einem Steuersatz von sieben Prozent gibt es aber nur wenig Entlastungsmöglichkeiten.

Stracke: Wenn jetzt die Ukraine als Kornkammer ausfällt, muss sich Europa fragen, wie es gelingt, mit unserer Landwirtschaft die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Darum muss sich auch Landwirtschaftspolitik ein Stück weit verändern. Bundesminister Özdemir ist hier viel zu zurückhaltend.

Thomae: Wir sollten uns auch überlegen, die Energiekosten beim Lebensmittel-Erzeuger zu dämpfen. Da kann es zum Beispiel um Agrardiesel gehen.

Wir machen uns nun auch abhängig von Energie aus Katar. Kürzlich haben wir noch darüber diskutiert, ob wegen der Menschenrechtsverletzungen in diesem Land überhaupt eine Fußball-WM stattfinden darf. Wie machen wir uns bei der Energie denn grundsätzlich unabhängiger?

Thomae: Wir werden wohl nicht darum herumkommen Rohstoffe aus Ländern zu beziehen, die unsere europäischen Werte nicht teilen. Eine Lösung aus diesem Dilemma könnten Erneuerbare Energien sein. Bei der Energiewende geht es nicht nur um die Erzeugung von Energie, sondern auch um Speicherung, Transportmöglichkeiten und Einsparung. Da müssen wir zulegen. Wasserstoff könnte zum Beispiel bei Speicherung und Transport eine wichtige Rolle spielen.

Stracke: Die Bundesregierung muss jetzt definieren, wann sie aus den russischen Gasimporten aussteigen will. Wir hatten ja noch als Große Koalition gesagt, dass wir weg möchten von den fossilen Brennstoffen. Gas sahen wir als Brückentechnologie auf dem Weg zu den Erneuerbaren Energien. Wichtig ist jetzt, dass wir bei den Genehmigungsverfahren schneller werden.

Die 10 H-Regel, wonach der Abstand zur nächsten Wohnbebauung zehn Mal so groß sein muss wie die Höhe des Windrads, ist in Bayern ein Hemmschuh beim Ausbau der Windenergie. Wann fällt diese Regel?

Stracke: Baden-Württemberg hat diese Vorschrift nicht und ist bei der Windenergie schlechter als wir. Außerdem ist 10 H ja kein gottgegebenes Gesetz.

Lassen Sie uns das Thema wechseln und zu Corona kommen: Wird die Diskussion um die im Bundestag durchgefallene Impfpflicht wieder hochkochen?

Thomae: Wenn die Corona-Variante Omikron auch in Zukunft dominiert, kommt diese Debatte nicht mehr hoch. Dann erleben wir den Übergang von der Pandemie in die Endemie. Aber niemand weiß, was die Zukunft bringt. Ich bin übrigens der Meinung, dass wir beim Schutz der am meisten gefährdeten Gruppen weit gekommen sind. Die Impfquote bei den über 60-Jährigen lag vergangene Woche bei 88,9 Prozent. Wozu brauchen wir da noch eine Impfpflicht?

Wenn wir bei vulnerablen Gruppen keine Impfpflicht benötigen: Warum brauchen wir sie dann bei jenen, die diese Menschen pflegen?

Thomae: Es bleibt eine heikle Frage, wie man in Kliniken und Heimen verfährt. Die dortigen Bewohnerinnen und Bewohner haben ja keine Alternative zum Aufenthalt in diesen Häusern und müssen darauf vertrauen, bestmöglich geschützt zu werden.

Stracke: Kanzler Scholz und Gesundheitsminister Lauterbach stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer Corona-Politik. Sie hatten sich für eine Impfpflicht ausgesprochen und sind letztlich an der FDP gescheitert. Für den Fall, dass das Virus wieder gefährlicher wird, hatte die Union ein Impfregister vorgeschlagen. Damit man weiß, wer geimpft wurde und man auf eine Impfpflicht vorbereitet ist. Dafür gab es keine Mehrheit. Diese Koalition hat es geschafft, dass wir auf den Herbst nicht vorbereitet ist.

Thomae: Wenn man bedenkt, wie lange der Aufbau zentraler Register in Deutschland dauert, dann ist es völlig unrealistisch, dass ein bundesweites Impfregister im Laufe eines Sommers aufgebaut werden könnte.

Stracke: Du sagst zurecht, dass es lange dauert. Darum wäre ja jetzt der Zeitpunkt gewesen, um das anzugehen und nicht den Sommer verstreichen zu lassen. Ich möchte nicht erleben, dass wieder Patienten in andere Bundesländer ausgeflogen werden müssen.

Kommen wir noch zu Allgäuer Themen: Bleibt der vierspurige Ausbau der B 12 zwischen Buchloe und Kempten im Bundesverkehrswegeplan? Da gab es ja zwischenzeitlich Zweifel.

Thomae: Ja, das Projekt bleibt im aktuellen Plan. Daran wird nicht gerüttelt.